„Ist unsere Versorgung in Gefahr?“ Diesem brisanten Thema widmete sich der diesjährige Parlamentarische Abend der Interessengemeinschaft der Heilberufe in Schleswig-Holstein (IDH) am 26. September vor rund 100 Gästen in Kiel.
„Einiges gibt Anlass zur Sorge“, beantwortete die schleswig-holsteinische Gesundheitsministerin Prof. Dr. Kerstin von der Decken die Frage des Abends in ihrem Grußwort. Zugleich unterstrich sie die Bedeutung der ambulanten Versorgung. Attraktive Rahmenbedingungen für die Niederlassung beschrieb die Ministerin als Voraussetzung für die künftige Versorgung der Bevölkerung: „Die demographische Entwicklung führt dazu, dass wir jede Praxis brauchen“, sagte sie.
Aktuelle Gesetzgebungsvorhaben der Bundesregierung im Gesundheitsbereich analysierte von der Decken vor allem auch im Hinblick darauf, wo aus schleswig-holsteinischer Sicht noch Nachbesserungsbedarf besteht. Das betraf zum Beispiel die Entbudgetierung ärztlicher Leistungen. Bei der geplanten Krankenhausreform forderte die schleswig-holsteinische Gesundheitsministerin, die derzeit auch Vorsitzende der Gesundheitsministerkonferenz (GMK) ist, eine Berücksichtigung der Vorschläge aus den Ländern.
Vor der Etablierung einer 24/7-Notfallversorgung müssten aus ihrer Sicht der Bedarf, die Finanzierbarkeit und die Personalsituation eruiert werden. Zum Thema Medizinische Versorgungszentren verwies sie auf einen Antrag des Bundesrats zur Neujustierung, um den Einfluss von Fremdinvestoren in der ärztlichen und zahnärztlichen Versorgung einzudämmen. Die von Bundesgesundheitsminister Prof. Dr. Karl Lauterbach avisierte – noch nicht ins Kabinett eingebrachte – Apothekenstrukturreform läuft nach Angaben von der Deckens einem Beschluss der GMK zur Stärkung der Vor-Ort-Apotheken entgegen.
Im Anschluss schilderten die Vertreterinnen und Vertreter der Heilberufe in kurzen Statements, welche bestehenden gesetzlichen Vorgaben und geplanten Regelungen die Arbeit ihres Berufsstandes erschweren:
Dr. Bettina Schultz, Vorstandsvorsitzende der Kassenärztlichen Vereinigung Schleswig-Holstein (KVSH), gab drei Beispiele aus aktuellen Gesetzentwürfen des Bundesgesundheitsministeriums, die, sollten sie Gesetzeskraft erlangen, massive Auswirkungen auf die ärztliche Versorgung hätten: So sehe der Gesetzentwurf zum Notfallgesetz eine 24/7-Notfallversorgung über integrierte Notfallzentren inklusive eines 24-Stunden-Fahrdienstes des Kassenärztlichen Bereitschaftsdienstes vor. Das schaffe „Parallelstrukturen, die wir weder personell noch finanziell leisten können“, warnte Schultz.
Für ihre Kritik am Entwurf des Krankenhausversorgungs-Verbesserungsgesetzes gab Schultz ein konkretes Beispiel: Laut Gesetzentwurf dürften Brustkrebs-Patientinnen künftig nur noch in Krankenhäusern behandelt werden, die über eine Intensivstation verfügen. „In über zehn Jahren als Gynäkologin kann ich mich nicht erinnern, dass postoperativ eine Patientin intensiv-medizinisch versorgt werden musste“, berichtete sie. Das „Gesundes-Herz-Gesetz“ bezeichnete Schultz als Versuch des Bundesgesundheitsministeriums, „Pillen statt Prävention zu platzieren.“
Dr. Michael Brandt, Präsident der Zahnärztekammer Schleswig-Holstein, wies auf sich rapide verschlechternde politische Rahmenbedingungen für die Niederlassung in einer freiberuflichen Zahnarzt-Praxis hin. Bürokratie, die Budgetierung zahnärztlicher Leistungen, praxisuntaugliche, aber kostenintensive IT-Projekte und eine seit 36 Jahren nicht angepasste Honorierung in der privaten Gebührenordnung führten zunehmend dazu, dass ältere Zahnärztinnen und Zahnärzte keine Nachfolger für ihre Praxis finden, schilderte er. Insbesondere im ländlichen Bereich entstünden dadurch Versorgungslücken.
Mit seinen Plänen für eine Apotheken-Reform werde Bundesgesundheitsminister Prof. Dr. Karl Lauterbach „das qualitativ hochwertige, sichere und hocheffiziente System der Arzneimittelversorgung durch die Vor-Ort-Apotheken weiter schwächen“, warnte Hans-Günter Lund, Vorsitzender des Apothekerverbands Schleswig-Holstein. Insbesondere kritisierte er das Konzept der „Light-Apotheken“. Dies werde „zu einer dramatischen Verschlechterung der Versorgung führen“, so Lund. Leidtragende dieser Reformpläne seien nicht nur die Apotheken, sondern vor allem auch die Patientinnen und Patienten.
Warum auch die zukünftige psychotherapeutische Versorgung der Bevölkerung in Gefahr ist, schilderte Dr. Clemens Veltrup, Präsident der Psychotherapeutenkammer Schleswig-Holstein: „Im September hätten knapp 60 Studierende ihre Approbationsprüfung ablegen können. Es hat sich aber nur eine Studentin angemeldet“, sagte er. Hintergrund sei, dass sich nach dem Masterstudiengang „Klinische Psychologie und Psychotherapie“ und der Approbation eine fünfjährige Weiterbildung zur Fachpsychotherapeutin/zum Fachpsychotherapeuten anschließen müsse. Die Durchführung dieser Weiterbildung scheitere aktuell jedoch vor allem daran, dass „die Finanzierung überhaupt nicht geregelt sei“. Es bestehe „dringender gesetzlicher Handlungsbedarf, um die berufliche Entwicklung der Studierenden und damit auch die zukünftige psychotherapeutische Versorgung der Bevölkerung zu sichern“, mahnte Veltrup an.
Dr. Evelin Stampa, Präsidentin der Tierärztekammer Schleswig-Holstein, kritisierte die umfangreichen gesetzlichen Dokumentations- und Aufzeichnungspflichten, für die Tierärztinnen und Tierärzte fast 30 Prozent ihrer Arbeitszeit aufwenden müssten. „Diese Zeit fehlt für die Versorgung der Tiere“, gab sie zu bedenken und plädierte für eine Entbürokratisierung der Berufsausübung.
Dr. Michael Diercks, Vorstandsvorsitzender der Kassenzahnärztlichen Vereinigung Schleswig-Holstein und derzeitiger Geschäftsführer der IDH, verwies zum Abschluss des Abends auf die Verantwortung der Politik für gesellschaftliche Entwicklungen. Dazu zähle etwa der Verlust der Wertschätzung von Unternehmergeist. „Die Attraktivität der Selbstständigkeit muss erhalten bleiben“, lautete sein Schlussappell.